Veranstaltungsreihe „Internationale Akteur*innen und Entwicklungen“ Spotlight on: Vereinte Nationen Ukraine mit Matthias Schmale, UN Resident and Humanitarian Coordinator Ukraine
Matthias Schmale beschäftigen bei seiner Arbeit als Resident and Humanitarian Coordinator der Vereinten Nationen in der Ukraine aktuell drei Prioritäten: Die Energieversorgung sei jetzt im Winter ein zentrales Thema. Dabei koordiniere er sowohl dringliche humanitäre Unterstützung in der Form von Treibstofflieferungen und Notlösungen für betroffene Gemeinden an der Front, er arbeite aber auch an mittel- bis langfristigen Lösungen, um eine nachhaltige Energieversorgung sicherzustellen. Gerade in Tschernihiw habe der Gouverneur einen neuen Meilenstein geknackt: Knapp 30 Prozent der Vorkriegskapazitäten zur Energieversorgung seien wieder aufgebaut.
Das zweite Thema sind die anhaltenden Evakuierungen aus Risikogebieten. Dabei unterstütze die UN primär ältere Menschen und solche mit eingeschränkter Mobilität, die sich nur schwer selbst evakuieren können. Und natürlich leiste man auch weiter akute humanitäre Nothilfe nach Angriffen: Gerade 2024 habe es so viele russische Luftangriffe gegeben wie noch nie zuvor.
Man arbeite aber nicht nur an den akuten Notfällen, sondern suche auch nachhaltige Lösungen – zum Beispiel für Binnenvertriebene (IDPs). Denn von den 3.6 Millionen im eigenen Land Vertriebenen brauchen circa drei Millionen keine akute Nothilfe, sondern mittelfristige Lösungen: beheizbaren Wohnraum oder eine Integration in das Schul- oder Arbeitsleben vor Ort.
Besonders die Schulbildung im Krieg sei ein kritisches Thema, das unter dem Stichwort „Education in Emergencies“ von den UN behandelt wird. Ein positives Beispiel sei die Stadt Charkiw, wo in einem U-Bahnhof eine Schule gebaut wurde, in der man sicher vor Luftangriffen lernen kann. Solche Initiativen fördere man als eine konstante Form des frühen Wiederaufbaus („early recovery“) einer resilienten Gesellschaft. „Wir erleben ein Nebeneinander von brutaler, frustrierender Kriegswirklichkeit – und gleichzeitig so viele Menschen, die auf beeindruckende Weise schon jetzt den Wiederaufbau vorantreiben und den Mut nicht verlieren.“
Um die richtigen Initiativen zu fördern, arbeite man auch eng mit der Zivilgesellschaft: alle zwei Wochen trifft sich das „Humanitarian Country Team“ mit acht Vertreter*innen der Zivilgesellschaft, je zur Hälfte nationale und internationale Organisationen.
Dort werden strategische wie praktische Fragen besprochen, zum Beispiel die Herausforderung der Verpflichtung junger Mitarbeiter in den Wehrdienst oder der richtige Anteil an Geld- beziehungsweise Sachleistungen in der humanitären Hilfe.
Gerade letzteres sei ein kontroverses Thema und komplex in einem Kontext wie der Ukraine, wo funktionierende Märkte eine Exportindustrie vorantreiben, erklärte Schmale auf eine Nachfrage aus dem Publikum.
Das Humanitarian Country Team biete ein formales Instrument zur Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft, man könne sich aber auch als Implementierungspartner in der direkten Zusammenarbeit mit UN-Agenturen vor Ort anbieten, oder sich im Ukraine Humanitarian Fund engagieren, einem Instrument zur Zusammenarbeit mit 37 nationalen und 50 internationalen Partnern.
Mindestens 600 Organisationen sind in der humanitären Hilfe in der Ukraine aktiv, drunter zum Großteil nationale, oft sehr lokale Organisationen. Eine enge Zusammenarbeit mit ihnen wird vor allem ermöglicht durch die internationale „NGO Platform“ und die ukrainische „CSO Alliance“, die der Zusammenführung ukrainischer zivilgesellschaftlicher Organisationen dient.
Der Resident Coordinator sei aber nicht nur im Kontakt mit der Zivilgesellschaft, sondern primär auch Botschafter des Generalsekretärs der Vereinten Nationen bei der ukrainischen Regierung. Dabei unterstütze man die demokratisch legitimierte Regierung bei der Koordination – „wir achten darauf, die Regierung in ihrer Koordinierungsfunktion nicht zu untergraben“.
Schmale lobte die Zusammenarbeit mit der Regierung auf humanitärer Seite, nannte aber auch Besonderheiten in der Entwicklungszusammenarbeit: Einige (internationale) Organisationen seien bereits lange etabliert in der Ukraine und hätten bereits enge Beziehungen zu den Fachministerien – hier sei eine Koordination oftmals nicht notwendig.
Es gebe aber immer weitere Initiativen um die Koordination zu erleichtern, so aktuell zum Beispiel den Versuch, mit Unterstützung der Vereinten Nationen und der Bundesrepublik 18 „Sector Working Groups“ aufzustellen, die für verschiedene Fachbereiche des Wiederaufbaus Kapazitäten bündeln. Schmale selbst ist Vorsitzender der Arbeitsgruppe zur Minenräumung. Auch hier werde die Zivilgesellschaft beteiligt, wenn auch in unterschiedlichem Maße.
Wenn Sie mehr über die Arbeit des Resident Coordinator Offices in der Ukraine erfahren möchten, informieren Sie sich auf der Webseite der Vereinten Nationen (Externer Link). Um das Interview in Gänze anzuschauen, besuchen Sie gerne unseren Youtube-Kanal (Externer Link).