Plattform Wiederaufbau Ukraine

Themenkreis Städtischer und kommunaler Wiederaufbau Fachveranstaltung: Urbane Resilienz – neue Herausforderungen für den Wiederaufbau

„Das Thema Resilienz ist ein äußerst breites und vielschichtiges Feld, das verschiedene Aspekte umfasst. Von der physischen und sozialen bis hin zur wirtschaftlichen und ökologischen Resilienz.“

Damit eröffnet Marta Pastukh, Leiterin des Themenkreises Städtischer und kommunaler Wiederaufbau bei der Plattform Wiederaufbau Ukraine die Fachveranstaltung am 11. Juli 2024 zum Thema Urbane Resilienz.

Städte und urbane Räume müssen auf Belastungen reagieren, sich daran anpassen und sich schnell wieder erholen können.

Städte und urbane Räume müssen auf Belastungen reagieren, sich daran anpassen und sich schnell wieder erholen können.

Städte und urbane Räume müssen auf Belastungen reagieren, sich daran anpassen und sich schnell wieder erholen können.

„Wie resilient müssen Städte geplant werden, umgeplant, umgebaut, wiederaufgebaut und welche Maßnahmen sind notwendig, um die Städte gegenüber sowohl klimatischen Veränderungen als auch den Folgen von Krieg und in der Kriegszeit widerstandsfähig zu machen?“

Mit diesen grundlegenden Fragen leitet sie zum ersten Referenten über, Prof. Dr. Detlef Kurth. Er ist Stadtplaner und Professor für Stadtplanung an der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität (RPTU) Kaiserslautern-Landau und arbeitet schon sehr lange zum Thema in der Ukraine. Zudem ist er Mitgründer von Pan for Ukraine – planning and architecture network for Ukraine (Externer Link), einer Plattform deutscher Hochschulen für Planung und Architektur zur Unterstützung ukrainischer Student*innen und Forscher*innen.

Prof. Dr. Kurth stellt an der Stelle den 63 Teilnehmenden die Leipzig-Charta (Externer Link) vor, die zuletzt 2020 überarbeitet wurde. Sie betont die wichtige Rolle von Kommunen und der integrierten Stadtentwicklungskonzepte. Ebenso enthält sie klare Ziele in Richtung „Produktiver Stadt“ und „Nachhaltige Stadt“, beispielsweise zu Fragen rund um die Klimaanpassung.

Prof. Dr. Kurth hält fest: „Viele fragen sich: Warum müssen wir uns damit beschäftigen, gerade in Kriegszeiten? Aber wir denken, es ist sehr wichtig, auch beim Wiederaufbau eine Perspektive für die Stadtentwicklung zu haben, zu wissen, gehe ich eher in Richtung schrumpfende Stadt oder wachsende Stadt? Wo lege ich räumliche Schwerpunkte? Wie schütze ich die Infrastruktur? (…) und es ist auch eine wichtige Voraussetzung, um Fördermittel von der Europäischen Union zu erhalten (…).“

Die Ukraine hat bereits vor mehr als sieben Jahren viele Elemente aus der Leipzig-Charta umgesetzt. Prof. Dr. Kurth nennt hier Elemente der integrierten Stadtentwicklungskonzepte und der Dezentralisierung. Diese sieht er als gute Voraussetzung für eine gute Stadtentwicklung: „(…) letztlich denken wir, dass eine dezentrale Struktur erfolgreicher ist als eine zentralistische“.

Dann schwenkt er aber zum eigentlichen Thema, der Notwendigkeit urbaner Resilienz. Denn Städte und städtische Räume müssen sich neben Naturkatastrophen, Terrorattacken, Pandemien oder Kriegen auch auf schleichend verlaufende Krisen einstellen und sich entsprechend darauf vorbereiten. Zu diesen Krisen zählt er die Umweltverschmutzung, Finanzkrisen, politische Krisen oder auch demographische Krisen.

Er verweist auf die Definition zu urbaner Resilienz von UN-Habitat und fügt hinzu:

„Wir sehen es in einem Dreiklang. Neben dem eigentlichen Widerstand braucht es auch eine Adaption beziehungsweise eine Anpassung, präventiv. Das heißt ich muss mich vorbereiten auf das Extremwetter, auf die Flut. Präventive Maßnahmen machen. Und das ist natürlich Stadtplanung (…) und ich brauche dann, wenn es zu einer Zerstörung gekommen ist, einen Wiederaufbau, (…) building back better (…) also besser wiederaufbauen, transformieren und auch andere Themen, die ich besser machen müsste, auch im Blick auf den Klimawandel, deutlich herauszustellen.“

Eine resiliente Stadt muss mehrere Funktionen erfüllen

Eine resiliente Stadt muss mehrere Funktionen erfüllen

Eine resiliente Stadt muss mehrere Funktionen erfüllen

Eine resiliente Stadt müsse laut Prof. Kurth verschiedene Funktionen erfüllen. Diese reichten von Effizienz über Diversität hin zu Reflektion und mögen auf dem Papier sehr abstrakt klingen. Wenn man sich diese aber genauer anschaue, werden sie schnell greifbar. Redundanz meine beispielsweise, dass Strukturen dezentral vorliegen sollten. Im Falle einer Zerstörung könne die Stadt auch weiterhin wichtige Aufgaben erfüllen, sei weiterhin arbeitsfähig. Eine geringere Fragmentierung urbaner Räume helfe beispielsweise dabei, bei Angriffen schnell Hilfe zuführen zu können und keine langen Wege nehmen zu müssen. Prof. Kurth erwähnt an der Stelle auch die wichtige Rolle der Zivilgesellschaft, denn inklusiv und partizipativ müsse eine resiliente Stadt auch sein.

Wie schafft man eine resiliente(re) Stadt?

Wie schafft man eine resiliente(re) Stadt?

Wie schafft man eine resiliente(re) Stadt?

Wie geht man also vor, um eine resiliente(re) Stadt zu schaffen? Prof. Dr. Kurth zeigt dies anhand beispielhafter Karten. Zunächst muss man die aktuellen und künftigen Bedrohungen analysieren und dann schauen, wo Menschen, besonders vulnerable Gruppen, leben und wo sich kritische Infrastruktur befindet. Sobald dann durch das Übereinanderlegen von Karten sogenannte kritische Orte identifiziert wurden, können Konzepte und Handlungsableitungen entwickelt werden.

Standbild aus dem Video "Urbane Resilienz – neue Herausforderungen für den Wiederaufbau Teil 1"

Vollständiger Beitrag von Prof. Dr. Kurth

Urban Resilience – new challenges for reconstruction

Präsentation von Prof. Dr. Detlef Kurth

Dateityp PDF | Dateigröße 4 MB, Seiten 19 Seiten

Prof. Dr. Kurth zeigt auch konkrete Praxisbeispiele aus der Ukraine. Mit Studierenden und Dozent*innen ihrer Partneruniversität in Lwiw und zusammen mit ostukrainischen Binnenflüchtlingen haben sie beispielsweise in der Stadt Drohobytsch Sitzbänke gebaut und somit einen Beitrag für mehr öffentliche Räume geleistet. Gerade in der Westukraine, in der nicht ganz so viele Bombardierungen stattfänden, sei es wichtig, Räume zur Kommunikation, zum Austausch und zur Integration zu schaffen. Zudem befasse er sich mit seinen Kolleg*innen stark mit der Umgestaltung sowjetischer Großsiedlungen, die durch Bombardements teilweise zerstört wurden: Wie repariere ich sie, wenn sie bombardiert wurden? Verdichte ich sie? Oder baue ich sie zurück und schaffe mehr Grün- und Begegnungsflächen?

Bevor die Veranstaltung mit dem zweiten Vortrag weitergeht, hält Prof. Dr. Kurth noch einmal fest: Neben der Beachtung der Prinzipien aus der Leipzig-Charta, der Einbettung in eine Gesamtstrategie inklusive Risiko-Management und dem besonderen Schutz kulturell und historisch relevanter Gebäude sei es auch wichtig, die Zivilgesellschaft weiter einzubinden sowie Demokratie, Pluralismus und Eigenverantwortung zu stärken. Hier sieht er die Ukraine auf einem guten Weg.


Svyatoslav Pavlyuk gibt eindrückliche Beispiele aus der Ukraine

Svyatoslav Pavlyuk gibt eindrückliche Beispiele aus der Ukraine

Svyatoslav Pavlyuk gibt eindrückliche Beispiele aus der Ukraine 

Svyatoslav Pavlyuk von der Assoziation Energieeffizienter Städte der Ukraine stimmt seinem Vorredner zu. Auch, was die Beachtung der Prinzipien aus der Leipzig-Charta beim Wiederaufbau der Ukraine betrifft.

In seinem Vortrag zu „Resiliente Städte in Kriegszeiten“ geht er eindrücklich auf die russischen Zerstörungen des ukrainischen Energiesystems ein. Von Atomkraftwerken über Wasserkraft bis hin zu den Erneuerbaren Energien hat die Ukraine viele Verluste zu beklagen. Er nennt die Zerstörung des Kachowka-Staudamms, die Besetzung des Atomkraftwerks Saporischschja oder die temporäre Kontrolle über Windkraftanlagen am Asowschen Meer rund um Mariupol.

Russland zerstört bewusst das ukrainische Energiesystem

Russland zerstört bewusst das ukrainische Energiesystem

Russland zerstört bewusst das ukrainische Energiesystem

„Ohne Strom kann man schon funktionieren, zum Beispiel mit Taschenlampen oder Kerzen. Aber ohne Wasser stirbt die Stadt,“ hält Pavlyuk fest.

Denn Russland zerstöre laut Pavlyuk nicht nur bewusst die vorhandenen Möglichkeiten, Strom zu erzeugen. Auch die Wärme- und die Wasserversorgung von mehreren zig Millionen Ukrainer*innen werde gezielt attackiert. Letzteres zeigt er den Teilnehmenden am Beispiel der Stadt Cherson. Als diese von der Ukraine im November 2022 zurückerobert wurde, sollte umgehend das Wasserversorgungsnetz repariert werden. Die daran arbeitenden Teams seien aber sofort von den Russen vom gegenüberliegenden Ufer beschossen worden. Er erwähnt auch die Situation in Mykolajiw, in der seit April 2022 eine halbe Million Menschen von der Wasserversorgung abgeschnitten sind.

Eine resiliente Stadt muss mehrere Funktionen erfüllen

Eine resiliente Stadt muss mehrere Funktionen erfüllen

Eine resiliente Stadt muss mehrere Funktionen erfüllen

Mit Blick auf den grünen Wiederaufbau sieht er eine mögliche Lösung bei den ukrainischen Wasserversorgungsunternehmen: Diese verfügten über große Landstücke, die für die Stromerzeugung, beispielsweise mit Hilfe von Wind- und Solaranlagen, genutzt werden könnten. Svyatoslav Pavlyuk teilt mit den Zuhörer*innen seine Vision: „Wasserversorger werden zu Stromerzeugern.“

Standbild aus dem Video "Urbane Resilienz – neue Herausforderungen für den Wiederaufbau Teil 2"

Vollständiger Beitrag von Svyatoslav Pavlyuk

Resilient cities in time of war

Präsentation von Svyatoslav Pavlyuk

Dateityp PDF | Dateigröße 1 MB, Seiten 19 Seiten

Wichtig sei auch, die Dämmung von Gebäuden anzugehen. Sowohl Pavlyuk als auch Prof. Dr. Kurth erinnern daran, dass es in der Ukraine wie auch in ganz Osteuropa üblich sei, Eigentum(swohnungen) zu besitzen. Das Bild von Wohnungsgesellschaften sei aber schlecht, zudem könnten einzelne Eigentümer*innen durch Vetos verhindern, dass Mehrfamilienhäuser beziehungsweise Komplexe mit zahlreichen Wohnungen vollständig gedämmt würden. Das aber wäre aus energetischer Sicht deutlich sinnvoller, als einzelne Wohnungen zu dämmen.

Maßnahmen wie diese stünden laut Pavlyuk aber aktuell nicht im Fokus: Es ginge vor allem erst einmal darum, die Städte am Leben zu halten, kurzfristig in einem Zeitraum von sechs Monaten zu planen und je nach Situation umzusteuern. Um dann, nachdem man den Krieg gewonnen hat, eine gute Grundlage für den Wiederaufbau zu haben.