Themenkreis Nachhaltiger Wiederaufbau der Wirtschaft Soziale Innovation für den Wiederaufbau – die Bedeutung des Sozialunternehmertums für die Ukraine
Für all diejenigen, die nicht an der Veranstaltung teilnehmen konnten, gibt es eine Aufzeichnung:
Und die Arbeit in diesem Themenstrang geht weiter! Sie muss weitergehen. Das machen die deutschen und ukrainischen Referent*innen auch mit Blick auf ihre eigene Arbeit deutlich: Dass soziale Unternehmen und wirkungsorientierte Tätigkeiten besonders in Krisenzeiten eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen spielen.
Das wird auch schon mit Blick auf die Definition von Sozialunternehmen deutlich. Denn dabei handelt es sich laut Dr. Bohdan Androshchuk (ChildFund Deutschland e.V. (Externer Link)), Initiator und Moderator der heutigen Veranstaltung, um Unternehmen, die „die Entwicklung von Produkten oder Dienstleistungen anstoßen, um soziale Probleme zu lösen, um die sich andere Akteure nicht kümmern können oder wollen.“ Soziale Unternehmen tragen laut Androshchuk zur Verbesserung der sozialen Lage beim Wiederaufbau in der Ukraine und für Geflüchtete in Deutschland bei. Und damit leitet er zu zwei Grußworten über.
Dr. Martin Vogelsang (Bundesinitiative Impact Investing e.V. (Externer Link)) erklärt seine zentrale Mission: Mehr nachhaltiges Investment ermöglichen. Er bezeichnet die Plattform Wiederaufbau Ukraine als elementar wichtig, um Investor*innen und Investees zusammenzubringen, und um für Leuchtturmprojekte mit Privatkapital zu sorgen.
Auch Sebastian Neumann (PHINEO gAG (Externer Link)) hält die Vernetzung unterschiedlicher Akteur*innen und Akteursgruppen für essenziell. Er informiert über einen Impact-Inkubator, den PHINEO 2022 aufgesetzt hat. Ziel sei es, ukrainische Gründer*innen zu unterstützen und mit ihnen Antworten auf die unterschiedlichen Krisen, die sich aus dem Krieg entwickelt haben, zu finden. Mentale Gesundheit und sauberes Trinkwasser seien dabei sehr wichtige Themen.
Alena Kalibaba vom Ukrainian Social Venture Fund (USVF) ist die nächste Referentin und leitet damit den Abschnitt zu den Praxisbeispielen ein. Ziel des USVF sei die systematische Weiterentwicklung des sozialunternehmerischen Ökosystems in der Ukraine. Der Fokus liege dabei auf vier Bereichen: Arbeitsmarktintegration, soziale Dienstleistungen, lokale Entwicklung benachteiligter Regionen und Sonstiges, wie Kultur, Sport. Der USVF versuche laut Kalibaba, den Bedarf von Gemeinden und Menschen zu bedienen und humanitäre Programme durchzuführen. Um die Anzahl und Qualität sozialer Unternehmen zu erhöhen, benötigten diese einen Zugang zu Finanzierung. In der Ukraine sei dieser aber aktuell schwach entwickelt. Der USVF wolle daher den Zugang zu Finanzierungsinstrumenten für soziale Unternehmen vereinfachen.
Konkrete Herausforderungen sieht Kalibaba bei der Anzahl von Veteran*innen und Menschen mit Behinderungen. Und natürlich bei den Binnenflüchtlingen und Geflüchteten. Wie können beispielsweise fünf Millionen Binnenflüchtlinge in sicheren Regionen in Arbeit gebracht werden?
Mit Blick auf potenzielle Investitionen und die Zusammenarbeit mit sozialen Unternehmen nennt sie fünf Bereiche:
- Entminung und Entwicklung landwirtschaftlicher Flächen;
- Unterstützung zur Deckung von Basisbedürfnissen der Menschen;
- Entwicklung der Infrastruktur und Smart Cities;
- Digitale Ausbildung und
- Wirtschaftliche Stärkung sozial-schwacher Gruppen.
Sie nennt weitere Herausforderungen, die aktuell eher versteckt und daher noch nicht als großes Problem identifiziert worden seien:
- Stärkung der Rolle von Frauen in Frauen-untypischen Berufen;
- Reintegration junger Veteranen unter 25 Jahren in die Gesellschaft;
- Rehabilitation von Personen, die durch Gewalt und Aggression traumatisiert sind;
- Rehabilitation von Personen mit Behinderungen und deren Familienangehöriger sowie
- Entwicklung der Infrastruktur als Grundlage für die Rückkehr Vertriebener und Geflüchteter.
Daniela Deuber (Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland (SEND) e.V. (Externer Link)) knüpft direkt an Kalibabas Vortrag an. Das Ziel von SEND mit seinen über 800 Mitgliedern sei es, soziale Unternehmen besser zu vernetzen, zu professionalisieren, sichtbarer zu machen und gleichzeitig deren Interessen zu vertreten. Über den Aufbau einer Taskforce zur Finanzierung sozialer Innovationen will SEND die Vernetzung öffentlicher und privater Finanzierung vereinfachen.
Aktuell gebe es laut Deuber eine Vielzahl von Hürden. Sie nennt den Zugang zu Finanzierung, Rechtsformen, zum Beispiel für Abbau von Bürokratie sowie fehlende Beratungsinfrastruktur für die Gründung und Skalierung sozialer Unternehmen. Gleichzeitig begrüße sie aber die Nationale Strategie für Soziale Innovationen und Gemeinwohlorientierte Unternehmen (Externer Link), die die Bundesregierung 2023 verabschiedet hat. Sie stelle einen Meilenstein für das soziale Unternehmertum in Deutschland dar.
Deuber bringt das Alleinstellungsmerkmal sozialer Unternehmen auf den Punkt: Diese brächten enormes Lösungspotenzial mit, weil sie originär dafür gegründet wurden, gesellschaftliche und ökologische Herausforderungen zu lösen. Insgesamt hätten sie im Vergleich zu klassischen Unternehmen ein anderes Verständnis von unternehmerischen Zielen, denn sie reinvestieren einen Großteil der Gewinne in das Unternehmen und führten ihn sozialen Zwecken zu. Sie würden auch stark auf die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (Externer Link) hinwirken, allen voran auf Bildung, Verringerung der Ungleichheit sowie Gesundheit und Wohlergehen. In dem Zuge erwähnt die Referentin auch, dass die Ukraine 2024 erstmals am European Social Enterprise Monitor (Externer Link) teilnehmen werde. Deuber begrüßt das, denn dies ermögliche die Vergleichbarkeit über Herausforderungen und Tätigkeitsfelder.
Bevor die Veranstaltung mit der Fragerunde abschließt, können Victoria Kulakova und Zarah Bruhn aus der sozialunternehmerischen Praxis berichten.
Kulakovas Unternehmen It’s craft (Externer Link) ist während der Corona-Pandemie als Marktplatz für regionales Handwerk in der Region Cherson entstanden. Mittlerweile decke die Plattform aber über drei Hubs in Cherson, Mykolajiw und Odessa das ganze Land ab und unterstütze Handwerker und Mikroproduzenten in der Logistik und im Verkauf. Zudem böte sie auch Workshops für Mikrounternehmen an. It’s craft verfolge dabei folgende Ziele: Die gebotenen Entfaltungsmöglichkeiten sollten Menschen wirtschaftlich und politisch unabhängiger machen, sie damit von der Emigration abhalten und die freidenkende Gesellschaft stärken.
Am Beispiel von It’s craft wird das Alleinstellungsmerkmal deutlich, das Daniela Deuber zuvor erläutert hatte: 15 bis 30 Prozent der Verkaufslöse behielte das Sozialunternehmen laut Kulakova ein. Davon flöße wiederum die Hälfte des Gewinns in eine Stiftung für karitative Zwecke und die andere Hälfte in die Weiterentwicklung der Plattform.
Zarah Bruhns Unternehmen Social-Bee gGmbH (Externer Link) setzt sich zum Ziel, es Unternehmen möglichst einfach zu machen, Geflüchtete einzustellen. Dazu seien laut Bruhns verschiedene Pläne entwickelt worden, wie Geflüchtete auch nach Einstellung weiter begleitet werden können. Zudem trainiere socialbee Unternehmen in Diversität. Seinen Ursprung hat das Sozialunternehmen in der sogenannten Flüchtlingskrise 2015/2016. Auf Nachfrage berichtet Bruhns, allein 2023 über das Female-Accelerator-Programm eine zweistellige Anzahl geflüchteter Ukrainerinnen betreut zu haben, um ihnen beim Neuanfang in Deutschland zu helfen. Finanziert würden die Projekte durch Unternehmen mit Fachkräftebedarf sowie Stiftungen.
Sie sind selbst im Wiederaufbau aktiv oder haben Interesse daran, sich zu engagieren? Sie möchten sich gerne selbst in einem oder mehreren der vier Themenbereiche der Plattform Wiederaufbau Ukraine (Nachhaltiger Wiederaufbau der Wirtschaft, Inklusion und gesellschaftlicher Zusammenhalt, Städtischer und kommunaler Wiederaufbau, Transparenz und Gute Regierungsführung) aktiv einbringen? Dann melden Sie sich gerne: sekretariat@ukraine-wiederaufbauen.de (Externer Link).
Die Plattform Wiederaufbau Ukraine bietet ein Forum, akteursgruppen-übergreifend zusammenzukommen und sich zu gemeinsam definierten Schwerpunktthemen auszutauschen.