Plattform Wiederaufbau Ukraine

Themenkreis Inklusion und gesellschaftlicher Zusammenhalt Erfahrungsaustausch: Mentale Gesundheit am Arbeitsplatz

Die russische Aggression wirkt sich massiv auf die mentale Gesundheit der ukrainischen Bevölkerung aus. Das zeigt sich auch am Arbeitsplatz: Chronischer Stress und Burnout sind bei den Mitarbeiter*innen vieler Unternehmen und zivilgesellschaftlicher Organisationen zentrale Herausforderungen. Wie kann unter den Gegebenheiten des andauernden russischen Angriffskrieges die mentale Gesundheit am Arbeitsplatz verbessert werden?

Weitere Informationen

Die Aufzeichnung der Veranstaltung vom 30. Januar 2025 finden Sie hier:

Hierzu tauschten sich Vertreter*innen von Unternehmen, Zivilgesellschaft und Wissenschaft aus Deutschland und der Ukraine bei zwei Veranstaltungen im Januar und Februar 2025 aus.

Ihr Fazit: Auch einfache und niederschwellige Maßnahmen können viel bewirken.

Dr. Solveig Kemna berichtet den Teilnehmenden über das Projekt „Solomiya“

Dr. Solveig Kemna berichtet den Teilnehmenden über das Projekt „Solomiya

Dr. Solveig Kemna berichtet den Teilnehmenden über das Projekt „Solomiya“

Viele Menschen in der Ukraine nehmen ihre Arbeitsbelastung derzeit als sehr hoch wahr, die Arbeit müsse auf weniger Schultern verteilt werden als vor dem Krieg, berichtet Dr. Solveig Kemna, Assistenzärztin an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité –Universitätsmedizin Berlin.

SOLOMYIA

Das Projekt „SOLOMIYA (Externer Link)“ unterstützt ukrainische Gesundheitsdienste in den Bereichen psychische Gesundheit, Notfallversorgung und Traumatologie und organisiert Medikamententransporte. Das Projekt-Netzwerk besteht aus über 40 ukrainischen und deutschen medizinischen Einrichtungen und wird von der Charité – Universitätsmedizin Berlin koordiniert. Es bietet Kapazitätsentwicklung sowie digitale Unterstützungstools wie Chatbots und eine App für die mentale Gesundheit an.

Im Rahmen des Projekts „Solomiya“ hat die Charité Workshops zur Diagnose, Behandlung und Vorsorge von Burnout für ukrainische Partner entwickelt.

Wichtig sei, so Kemna, Burnout nicht nur auf individueller Ebene zu adressieren, indem etwa das Stress-Management verbessert oder der Lebensstil verändert werde, sondern auch die interpersonelle und organisationale Ebene zu berücksichtigen.

Hierbei seien etwa die Leitungen von Kliniken gefragt, für die das Projekt Kurse unter anderem zu Führungsverantwortung in Transformationsprozessen anbietet. Tools zur Selbstdiagnose wie Professional quality of life (ProQoL) (Externer Link) oder Maslach Burnout Inventory (MBI) (Externer Link) könnten zudem für Betroffene sehr hilfreich sein.

Hier kann Dr. Solveig Kemnas Präsentation heruntergeladen werden (PDF, 511 KB).

Niederschwellige Angebote für Mitarbeitende bei der Robert Bosch GmbH

Ivanna Cherevko stellt den Teilnehmenden die Maßnahmen der Robert Bosch GmbH in der Ukraine zu mentaler Gesundheit am Arbeitsplatz vor

Ivanna Cherevko stellt den Teilnehmenden die Maßnahmen der Robert Bosch GmbH in der Ukraine zu mentaler Gesundheit am Arbeitsplatz vor

Ivanna Cherevko stellt den Teilnehmenden die Maßnahmen der Robert Bosch GmbH in der Ukraine zu mentaler Gesundheit am Arbeitsplatz vor

Für Ivanna Cherevko, die bei der Robert Bosch GmbH in der Ukraine unter anderem für die unternehmerische Sozialverantwortung verantwortlich ist, steht fest, dass die mentale Gesundheit der Mitarbeiter*innen das Fundament der Resilienz des Unternehmens in der Ukraine ist: „Im ersten Kriegsjahr veranstalteten wir erstmals unser ‚Reboot Camp‘. Dabei kamen Mitarbeiter*innen für einige Tagen in einem geschützten Raum zusammen, konnten sich von der Belastung durch den Krieg etwas erholen und vor allem miteinander über das sprechen, was sie belastet. Das Camp hat sich seither zu einem Symbol des Zusammenhalts und der gegenseitigen Unterstützung der Belegschaft entwickelt.“

Robert Bosch GmbH

Die Robert Bosch GmbH ist ein international führendes Technologie- und Dienstleistungsunternehmen mit den vier Unternehmensbereichen Mobility, Industrial Technology, Consumer Goods sowie Energy and Building Technology. In der Ukraine (Externer Link) ist Bosch seit 1993 tätig und hat dort rund 150 Mitarbeitende.

Um die mentale Gesundheit der Mitarbeiter*innen weiter zu stärken, setzt die Bosch GmbH seit 2024 auf Sport. Dreimal pro Woche laufen, schwimmen oder radeln viele Mitarbeiter*innen gemeinsam außerhalb der Arbeitszeit. Das niederschwellige Programm hat sich als sehr effektiv erwiesen, so Ivanna Cherevko. Über 75 Prozent der Teilnehmenden berichteten, dass ihr Stresslevel gesunken sei und sie sich besser konzentrieren könnten. Cherevko zitiert einen Programmteilnehmer: „Nach Bombenalarmen in der Nacht möchte ich mir morgens oft am liebsten nur die Decke über den Kopf ziehen. Es hilft mir dann zu wissen, dass ich zum Training gehe, mich dabei erfrischen und neue Kraft tanken kann.“

Die Robert Bosch GmbH in der Ukraine setzt auf Sport, um die mentale Gesundheit ihrer Mitarbeiter*innen zu stärken

Die Robert Bosch GmbH in der Ukraine setzt auf Sport, um die mentale Gesundheit ihrer Mitarbeiter*innen zu stärken

Die Robert Bosch GmbH in der Ukraine setzt auf Sport, um die mentale Gesundheit ihrer Mitarbeiter*innen zu stärken

Die Bosch GmbH in der Ukraine entwickelt ihr Angebot zur mentalen Gesundheit der Mitarbeiter*innen ständig weiter.

„Oft sind es die kleinen Dinge, die besonders viel bewirken, wie etwa (…) sich zu erkundigen, wie es dem Gegenüber gerade geht“, so Ivanna Cherevko.

Besonders im privatwirtschaftlichen Sektor scheuen sich Mitarbeiter*innen oft, Angebote wahrzunehmen. Cherevko empfiehlt daher:

  1. Passen Sie das Vokabular sensibel an: Sprechen Sie nicht von „mentaler Gesundheit“, sondern von ‚healthy balance‘, ‚life in focus‘ oder ‚superhero secrets‘.
  2. Integrieren Sie die Aktivitäten in Alltagsroutinen, zum Beispiel in bereits bestehende Meetings oder Fortbildungen.
  3. Sensibilisieren Sie Führungskräfte und lassen Sie diese in eine Vorbildfunktion wachsen.
  4. Gamification funktioniert! Arbeiten Sie mit Wettbewerben und Spielen!

Ukrainische NGOMental Health Service“ unterstützt auch medizinisches Personal

Mental Health Service

Die ukrainische Nichtregierungsorganisation „Mental Health Service (Externer Link)“ wurde 2019 gegründet. Schwerpunkt ist die therapeutische Arbeit mit Menschen, die durch Krieg, Folter und Flucht traumatisiert sind.

Die Leiterin des „Mental Health Service“ Oksana Chmelnytska erklärt, dass die Organisation Zentren für psychische Gesundheit eingerichtet hat und dort Binnengeflüchtete und Einheimische behandelt.

Zudem werden mit Online-Angeboten innovative Formate für Mitarbeitende im Gesundheitswesen geschaffen und diesen Möglichkeiten für kurzfristige psychotherapeutische Interventionen geboten.

Zunächst waren die Stressfaktoren dieser Zielgruppe durch die Covid-19-Pandemie bestimmt, dann durch den vollumfänglichen Angriffskrieg Russlands.

Oksana Chmelnytska leitet den „Mental Health Service“ in der Ukraine

Oksana Chmelnytska leitet den „Mental Health Service“ in der Ukraine

Oksana Chmelnytska leitet den „Mental Health Service“ in der Ukraine

Das Angebot des „Mental Health Service“ umfasst auch Traumatherapien etwa für Veteranen oder Binnengeflüchtete sowie Kriseninterventionen nach großen Ereignissen wir dem Bruch des Kachowka-Staudamms. Eine große Herausforderung sieht Oksana Chmelnytska in der Tatsache, dass medizinisches Personal jeden Tag in Gefahr lebt: Einrichtungen des Gesundheitswesens seien häufig Ziel russischer Angriffe – bislang wurden mehr als 2.000 Angriffe registriert. Daher sind Ärzt*innen und Pflegekräfte eine zentrale Zielgruppe des „Mental Health Service“.

Auswärtiges Amt fördert Projekte zur mentalen Gesundheit

Felix Hegeler koordiniert im Auswärtigen Amt (AA) die humanitäre Hilfe für die Ukraine

Felix Hegeler koordiniert im Auswärtigen Amt (AA) die humanitäre Hilfe für die Ukraine

Felix Hegeler koordiniert im Auswärtigen Amt (AA) die humanitäre Hilfe für die Ukraine

Die Bundesregierung fördert zahlreiche Projekte zivilgesellschaftlicher Organisationen in der humanitären Hilfe und zum Wiederaufbau der Ukraine. Felix Hegeler vom Auswärtigen Amt (AA) unterstreicht, dass auch die Bundesregierung den Bedarf an psychosozialer Unterstützung für Mitarbeiter*innen anerkenne. Die Arbeit im aktuellen Kontext sei psychisch sehr belastend und müsse daher bei der Projektkonzeption beachtet werden. AA und BMZ ermöglichten den von ihnen unterstützten internationalen und lokalen Organisationen daher, Staff Care-Elemente in die Projektförderungen mit aufzunehmen.

Wie die Situation verbessert werden kann

Die Ergebnisse aus der Arbeit in Kleingruppen zeigt, mit welchen Herausforderungen die Teilnehmenden in ihrem Arbeitsumfeld konfrontiert sind: Neben einer allgemein hohen Arbeitsbelastung berichten sie, dass in vielen Unternehmen und Institutionen das notwendige Fachwissen sowie Ressourcen für Angebote zur mentalen Gesundheit fehlten, es keine Spezialist*innen auf diesem Gebiet gebe und vielerorts die notwendige Offenheit für Initiativen im Bereich der psychischen Gesundheit nicht vorhanden sei.

Sie nennen aber auch einige konkrete Ansätze zur Förderung der mentalen Gesundheit am Arbeitsplatz die vergleichsweise schnell umzusetzen seien: Sport-, Yoga-, Achtsamkeits- und Meditationsangebote, die Schaffung von Rückzugsmöglichkeiten, eine flexible Arbeitsgestaltung, Erste Hilfe zur mentalen Gesundheit, Workshops zur Prävention von Burnout sowie die Sensibilisierung des Managements.

Instruments to foster mental health in the work place

Instruments to foster mental health in the work place
Instruments to foster mental health in the work place

Mentale Gesundheit bleibt ein sensibles Thema, das entsprechend sensibel bearbeitet werden müsse. Ivanna Cherevko von der Bosch GmbH in der Ukraine gibt jedoch zu bedenken: „Die Unterstützungsangebote zu mentaler Gesundheit sind wie ein Fitnessstudio: Viele trauen sich nicht, zum ersten Mal dorthin zu gehen. Aber wenn sie diese erste Hürde erst einmal überwunden haben, können sich viele ein Leben ohne Fitness nicht mehr vorstellen.“

Programme zur Förderung der mentalen Gesundheit würden zwar personelle und finanzielle Ressourcen binden, sollten aber als eine wichtige Investition in die Zukunft eines Unternehmens betrachtet werden, so der Tenor der Teilnehmenden.

Und so nutzt das Sekretariat das Momentum und lädt rund zwei Wochen später zu einem Folgetermin ein, in dem tiefere Einblicke in ausgewählte Ansätze gewährt werden:

Dr. Sabine Schönwälder leitet unter anderem seit 2013 ein Traumatherapie-Ausbildungsprojekt in Odessa

Dr. Sabine Schönwälder leitet unter anderem seit 2013 ein Traumatherapie-Ausbildungsprojekt in Odessa

Dr. Sabine Schönwälder leitet unter anderem seit 2013 ein Traumatherapie-Ausbildungsprojekt in Odessa

Dr. Sabine Schönwälder ist Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Traumatherapeutin und leitet seit 2013 ein Traumatherapie-Ausbildungsprojekt in Odessa. Sie bietet Unternehmen Beratung bei EMDR an.

EMDR steht für die Methode des „Eye Movement Desensitization Reprocessing“. Diese wurde ursprünglich als Methode zur Traumaverarbeitung eingesetzt und gilt als sehr effektive Traumatherapie. Durch sie könne regelrecht ein „Schalter im Gehirn umgelegt“ werden:

Durch wechselseitige Augenbewegungen wird das Gehirn bilateral stimuliert und damit in einen besonders intensiven Verarbeitungsmodus versetzt. Als Folge davon werden neue synaptische Verknüpfungen im Gehirn gesetzt und die belastende Situation von den damit verbundenen belastenden Gefühlen, Gedanken und körperlichen Stress-Symptomen entkoppelt. Schönwälder wirbt für die Methode besonders bei Mitarbeiter*innen, denen das Sprechen über Gefühle oder Emotionen schwerfalle. EMDR eigne sich insbesondere auch im Privatsektor, da sich die Arbeitnehmer*innen dort für gewöhnlich seltener öffnen würden.

Hier kann Dr. Sabine Schönwälders Präsentation heruntergeladen werden (PDF, 432 KB).

Wie adressiert die IOM in der Ukraine mentale Gesundheit am Arbeitsplatz?

Wie adressiert die IOM in der Ukraine mentale Gesundheit am Arbeitsplatz?

Wie adressiert die IOM in der Ukraine mentale Gesundheit am Arbeitsplatz?

Olha Mokhnii von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zeigt den Teilnehmenden in ihrem Deep Dive, wie die IOM als mitarbeiterstärkste UN-Organisation in der Ukraine das Thema mentale Gesundheit am Arbeitsplatz adressiert.

Die IOM bietet dafür eine ganze Plattform an Dienstleistungen an: Von individueller Beratung über Trainings bis hin zu Gruppentherapie.

Zusätzlich sorgt die IOM über die Bereitstellung von Flyern und Übersichten externer Beratungsstellen bis hin zum Veranstalten von Foto-Challenges dafür, dass mentale Gesundheit kein schambehaftetes Thema bleibt, sondern im Arbeitsalltag normalisiert wird.

Die IOM bietet eine ganze Plattform an Dienstleistungen zu mentaler Gesundheit am Arbeitsplatz an

Die IOM bietet eine ganze Plattform an Dienstleistungen zu mentaler Gesundheit am Arbeitsplatz an

Die IOM bietet eine ganze Plattform an Dienstleistungen zu mentaler Gesundheit am Arbeitsplatz an

Nach zwei Veranstaltungen zur Gesundheit von Mitarbeiter*innen werden sich die nächsten Formate der Reihe zu „Mentaler Gesundheit“ mit spezifischen Zielgruppen wie Kindern, Veteran*innen und Binnenvertriebenen beschäftigen.

Hier kann Olha Mokhniis Präsentation heruntergeladen werden (PDF, 2 MB).